Den meisten ist es vermutlich schon aufgefallen: Die Farb-Codierung auf Lebensmittelverpackungen, besser bekannt als „Nutri-Score“, verspricht eine einfache Orientierung beim Einkauf. Doch ist eine solche vereinfachte Kennzeichnung wirklich hilfreich, oder führt sie vielmehr dazu, dass Verbraucher zunehmend entmündigt werden?
Der Nutri-Score reduziert komplexe ernährungswissenschaftliche Zusammenhänge auf einfache Farb- und Buchstabenbewertungen. Dabei gehen viele wichtige Details verloren. Lebensmittel, die auf den ersten Blick weniger gut abschneiden, können dennoch wichtiger Bestandteil einer insgesamt ausgewogenen und gesunden Ernährung sein. Umgekehrt suggeriert eine positive Bewertung manchmal einen gesundheitlichen Nutzen, den ein Produkt tatsächlich nicht besitzt. Viel sinnvoller wäre es daher, den Verbrauchern umfassende Informationen zur Verfügung zu stellen, sodass sie eigenständig und selbstbestimmt Entscheidungen treffen können – angepasst an ihre individuellen Bedürfnisse, Ernährungsgewohnheiten und persönlichen Lebensumstände.
Ähnliches gilt auch für die Haltbarkeit von Lebensmitteln. Verbraucher verlassen sich immer häufiger auf gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnungen wie das Mindesthaltbarkeitsdatum oder Verbrauchsdatum. Doch diese Vereinheitlichung verursacht häufig Missverständnisse und führt letztlich dazu, dass unnötig viele Lebensmittel weggeworfen werden. Denn zahlreiche Produkte sind oft weit über das angegebene Datum hinaus problemlos genießbar. Sinneswahrnehmungen wie Geruch, Aussehen oder Konsistenz bieten zuverlässige Orientierungshilfen, die jedem Menschen ermöglichen, individuell und eigenverantwortlich über die tatsächliche Genießbarkeit zu entscheiden.
Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist Salz: Es lagert Millionen Jahre oder mehr stabil im Berg oder im Meer, erhält aber dennoch ein Haltbarkeitsdatum, das suggeriert, es könne irgendwann nicht mehr verwendet werden. Dieses absurde Beispiel verdeutlicht, wie sehr Verbraucher inzwischen gewohnt sind, sich auf vorgefertigte Kennzeichnungen zu verlassen, und dabei ihre eigene Fähigkeit vernachlässigen, Lebensmittel selbstständig und individuell einzuschätzen.
Die Alternative zu dieser Form der Bevormundung ist ebenso einfach wie erstrebenswert: Verbraucher sollten ermutigt werden, wieder selbstbestimmt und eigenverantwortlich Entscheidungen über ihre Lebensmittel zu treffen – egal ob hinsichtlich ihres gesundheitlichen Nutzens oder der Lagerung und Haltbarkeit. Eine gute Ernährung und ein verantwortungsvoller Umgang mit Lebensmitteln entstehen aus bewussten, eigenständigen Entscheidungen, nicht aus staatlich verordneten Vereinfachungen. Wer seine Sinne aktiv nutzt, wer auf seine persönlichen Bedürfnisse achtet und Lebensmittel differenziert beurteilt, reduziert nicht nur Verschwendung, sondern stärkt auch seine Kompetenz und Autonomie im Alltag.
Jeder Mensch ist einzigartig – mit individuellen Voraussetzungen, Vorlieben und Bedürfnissen. Gerade deshalb lohnt es sich, Lebensmittel eigenständig wahrzunehmen und selbständig einzuordnen, anstatt einer pauschalen und oft missverständlichen Einheitsbewertung blind zu vertrauen. Eigenverantwortung und Selbstbestimmung stärken nicht nur jeden Einzelnen, sondern fördern auch einen nachhaltigeren und bewussteren Umgang mit Lebensmitteln.